Meine Kindheit
Aufgewachsen bin ich in Hessen und Bayern. Geboren bin ich in Darmstadt am 8. Dezember 1936. Der 8. Dezember ist in Österreich ein Feiertag, weil dort Mariä Empfängnis offiziell gefeiert wird. Weil Darmstadt immer häufiger das Ziel von Bombenangriffen wurde und mein Vater als Soldat nach Russland kommandiert wurde, suchte meine Mutter für meine zwei Schwestern und mich einen friedlicheren Aufenthaltsort. Wir zogen zu ihrer Familie nach Oberfranken. Dort lebten wir in engen Verhältnissen, mussten aber nicht so oft in den Luftschutzkeller rennen.
Im September 1943 durfte ich endlich in die Schule. Mit meiner Tüte voller ungewohnter Süßigkeiten pilgerte ich in die schöne Schlossschule in Bad Rodach. Da ich schon lesen und schreiben konnte, suchte ich mir Abwechslung vom etwas langweiligen Unterricht. Ich half dem evangelischen Pfarrer bei seiner Missionsarbeit und beim Kindergottesdienst.
„Bei Aufführungen der Schule durfte ich immer den Prinzen spielen, mal mit Dornröschen, mal mit Schneewittchen.“
Die einschneidendste Abwechslung meiner vier Volksschuljahre ereignete sich am 10. April 1945: die Amis rollten in die Stadt. Der Krieg war zu Ende. Wochenlang hatte ich den sorgenvollen Gesprächen der Erwachsenen zugehört.
Ihr zentrales Thema war die Frage, welche Soldaten uns besetzen würden. Alle fürchteten die Russen. Jeder hoffte auf die Amerikaner. Die Unsicherheit war berechtigt, denn unsere Stadt Rodach lag fast auf der Demarkationslinie, auf die sich die vier Besatzungsmächte geeinigt hatten. Es war die Grenze zwischen Bayern und Thüringen. Historisch bewanderte Rodacher sorgten sich, die Russen und die Amerikaner könnten sich an den Landkarten von 1920 orientiert haben. Damals gehörte Rodach noch zu Thüringen und wäre Teil der sowjetischen Besatzungszone gewesen. Am Ende des Krieges haben sich die Einwohner des Coburger Landes noch einmal gefreut, dass sie sich in einer Abstimmung für Bayern und gegen Thüringen entschieden hatten. Für Rodach, das inzwischen zu Bad Rodach befördert wurde, war das Ergebnis unglaublich knapp. Zum Glück waren die Amerikaner im Ort und besetzten die schönsten Häuser, aber ansonsten waren wir von Russen umzingelt. In drei von vier Himmelsrichtungen konnten wir die Stadt nicht mehr verlassen. Zwei Kilometer hinter Rodach richteten die Russen ihre Sperren auf, die sie bald mit Stacheldraht und Wachtürmen ausbauten. Diese politischen und historischen Aspekte beschäftigten den achtjährigen Jungen wenig.
Seine Realität waren freundliche amerikanische Soldaten, die uns Schätze schenkten, die wir nie gesehen und geschmeckt hatten. Wir tranken unsere erste Cola, kauten leckere Gummis und aßen Schokolade, ohne die Portionen einteilen zu müssen. Fast alle Amerikaner waren freundlich zu uns Kindern und widerlegten das Zerrbild, mit dem die Goebbels-Propagandisten uns hatten ängstigen wollen.
Und selbstverständlich waren die dunkelhäutigen Soldaten, die ersten Afroamerikaner unseres Lebens, genauso herzlich zu uns wie ihre weißhäutigen Kameraden.
Für mich selber wurde die Begegnung mit der Besatzungsmacht zu einem ungewöhnlichen Erlebnis, dessen Ursache ich mir bis heute nicht erklären kann. Ich konnte die Amerikaner nicht nur gut verstehen, sondern konnte mich auch in ihrer Sprache fließend mit ihnen unterhalten.
Wie es zu diesem persönlichen Pfingstwunder gekommen war, kann ich auch nachträglich nicht analysieren. Fest steht, dass wir Kinder im Ort viel Zeit hatten. Der Schulbetrieb war eingestellt. Wegen des Umsturzes hatten die Lehrer keine Pläne, keine Anweisungen und vor allem keine Hierarchie. Diejenigen, die in der NSDAP aktiv waren, versteckten sich, und die Unbelasteten waren ohne Führung. Also sperrten sie uns einfach aus. Von März bis November 1945 lernten wir nichts in der Schule, aber täglich für das Leben.
Kaum waren wir aufgestanden, zogen wir vor das Quartier der Amerikaner und lungerten dort herum, bis einer Kaugummi oder Schokolade verteilte. Die GI’s hatten wenig Lust, Deutsch zu lernen. Die dreißig Rodacher Jungs vor der Tür konnten perfekt „chewing gum“ sagen und „thank you very much“.
Als ich einige komplette Sätze fabriziert hatte, waren die Panzerfahrer begeistert und holten mich ins Haus. Sie wollten ihre Zigaretten und Seifen gegen Eier, Speck und Hühner eintauschen, und ich half ihnen dabei. Im Militärjeep fuhren wir zu den Bauern in der Umgebung, denen die kleinen Geschäfte recht waren. Die Zigaretten waren der größte Schlager. Mein Schwarzhandel blühte. Die deutschen Männer rauchten Lucky Strike, und ihre Frauen wuschen die Uniformen der Soldaten.
Wir entwickelten regelrechte Tourneen mit festen Terminen. Wir wurden bekannt in Stadt und Land. Man kann unsere Rundfahrten organisierten Schwarzhandel nennen. Ich nenne es Freihandel. Schließlich erlaubten sich meine militärischen Partner den Spaß, mir kleinem Kerl eine komplette US-Uniform schneidern zu lassen. Einen hellen Ausgehanzug mit Cappy und Streifen an den Schultern. Drei Streifen oben und drei Streifen unten. Ich glaube, es waren die Rangabzeichen eines Master Sergeants. Auch die Offiziere hatten ihren Spaß an dem amerikanisch sprechenden Maskottchen. Als ich später das erste Mal in New York war, kapierte ich, dass ich mit einem schweren texanischen Akzent sprach. Den hatte ich außer für Zigarettentausch auch für neue Aufgaben anwenden müssen. Mittlerweile verbrachte ich ganze Tage im Hauptquartier.
„Als mein Vater überraschend aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft heimkam, erlitt er einen Schock, als sein inzwischen neunjähriger Sohn ihm in einer Uniform der Besatzer in die Arme sprang.“
Die nicht besonders fleißigen Kameraden hatten mir sogar zeitweise die „border control" übertragen, die Grenzkontrolle der drei Außenposten. An den drei Straßen, hinter denen die Russen ihre neue Grenze bewachten, patrouillierten amerikanische Soldaten. Die Angehörigen der beiden Besatzungsmächte beobachteten sich gegenseitig durch Ferngläser. Zu festgesetzten Zeiten musste ich unsere Außenposten auf ihren Feldtelefonen anrufen und ihre Bereitschaft kontrollieren. In einem Berichtsbuch hielt ich dann mit Uhrzeit fest, dass es keine besonderen Vorkommnisse gab. Nach dem Dienst fuhren mich dann die Amis nach Hause, so wie sie mich vormittags abgeholt hatten. Die Rodacher hatten sich längst daran gewöhnt, dass ich in Uniform herumlief. Ein Erlebnis allerdings hat sich in mein Gedächtnis eingegraben.
Mit großen Mengen bester amerikanischer Zigaretten konnte ich den Kettenraucher beruhigen. Mutter und Tanten erklärten ihm auch, dass ich den Haushalt finanziere.
Als der Unterricht wieder begann, schien die Ami-Story für mich beendet, aber ich hatte mich getäuscht. Aus dem Fenster der Schule konnte ich sehen, wie ein Panzerspähwagen auf den Hof fuhr. Zwei Amerikaner traten ins Klassenzimmer, stellten sich neben mich und einer sagte im Befehlston auf englisch: „Wir brauchen ihn als Dolmetscher.“ Der Lehrer stand stramm und gab mir frei. Ich konnte Schule und Beruf gut unter einen Hut bringen. Als meine texanische Einheit verlegt wurde, schrieb ihr Kommandeur für die Nachfolger einen Empfehlungsbrief. Mein Job als Dolmetscher und Händler ging weiter.
Meine Schulzeit
Zum Glück für mich folgten meine Eltern der Empfehlung eines mir wohl gesonnenen Volksschullehrers und schickten mich auf ein humanistisches Gymnasium. Sie träumten davon, dass mit Hilfe der Fremdsprachen Latein und Griechisch aus dem Bub ein Pfarrer werden könnte. Bis zum Abitur hatte ich aber so viel Friedrich Nietzsche gelesen, dass ich mich anderen Neigungen widmete als der Theologie. Die Welt der Römer und der Griechen und die deutschen Klassiker in Drama und Lyrik besetzten meine Gedanken.
„Zwei traditionsreiche humanistische Gymnasien und eindrucksvolle Lehrer haben mich geprägt.“
Die ersten Schuljahre verbrachte ich am Gymnasium Casimirianum in Coburg, dann wechselte ich – weil der Vater hessischer Beamter wurde – nach Darmstadt ans Ludwig-Georgs-Gymnasium.
Dort blieb ich bis zum Abitur, ohne eine Klasse wiederholen zu müssen. Das war nicht selbstverständlich, weil ich am Unterricht in den naturwissenschaftlichen Fächern oft nicht teilnehmen konnte. Vielerlei Versuchungen hielten mich fern. Ich musste mich um Texte und Anzeigen für die Schülerzeitung kümmern, hatte Probenverpflichtungen als Statist am Landestheater und musste mich um unser Schultheater kümmern. Da war ich nicht nur als Schauspieler engagiert, sondern hatte mir von den Freunden auch noch allerlei organisatorische Aufgaben anhängen lassen.
Für das Fach Physik hatte ich mir nicht einmal ein Unterlagenheft anlegen können, weil ich unbedingt ein paar richtige Fußballschuhe finanzieren musste. Für dieses Projekt fuhr ich mit dem Rad für eine Buchhandlung Bücher und Zeitschriften aus. Der Lohn waren 35 Pfennig in der Stunde. Das Geschäft endete ärgerlich. Als ich das Geld für die Fußballschuhe zusammenverdient hatte, stahl mir einer mein Fahrrad.
Die vielen Ablenkungen führten dazu, dass meine Eltern zwei Jahre hintereinander mit einem gleich lautenden Text erschreckt wurden. Sie schämten sich schrecklich, als sie lasen:
„Bei gleich bleibenden Leistungen ist die Versetzung des Schülers H.M. ausgeschlossen.”
Zweimal gelang mir ein strapaziöser Endspurt: jeweils nur eine Fünf. Dafür konnte ich im Deutsch-Unterricht jederzeit aus einem Repertoire von vierzig Gedichten deklamieren, wusste alles über Georg Büchner und Heinrich Heine und spielte in Komödien von Aristophanes und Dramen von Sophokles mit. Wir spielten die griechische Urfassung, obwohl wir wussten, dass uns im Publikum außer zwei pensionierten Altphilologen niemand verstand.
Gerne hätten wir Homers Odyssee in der großartigen Übersetzung von Voß dargeboten, aber die Schulzeit ging zu Ende.
Wir mussten hinaus ins richtige Leben.
Die Redaktion
Mein geplantes Studium scheiterte an einer schnellen Karriere. Während ich plante, mich an der Universität in Frankfurt für Theaterwissenschaft und Germanistik einschreiben zu lassen, erreichte mich eine Anfrage des Darmstädter Tagblatts. Für diese Zeitung hatte ich schon während meiner Schulzeit in der Unter- und Oberprima regelmäßig Berichte geschrieben, vor allem am Wochenende. Da sie mit meinen Texten wenig Arbeit hatten, boten sie mir ein Volontariat an, eine klassische Redakteursausbildung in allen Ressorts. Ich war begeistert und warf den Brief an die Uni in den Papierkorb.
Zwei Tage später saß ich an meinem ersten Schreibtisch. Während ich in der Schule froh war, wenn ich nicht dran kam, wurde ich in der Zeitung zum Streber. Ich meldete mich für jedes Thema, egal, ob der Termin abends war oder am Sonntagfrüh.
Schnell schaffte ich erste Kontakte zu Kommunalpolitikern, ging ins Rathaus und saß stundenlang im Stadtrat. Da wir eine kleine Mannschaft waren, bekam ich viele Chancen. Ich nutzte sie.
Nachdem ich bei der Allgemeinen Zeitung in Mainz, unserem Schwesterblatt, auch noch die nationalen Ressorts Politik, Wirtschaft und Feuilleton kennengelernt hatte, wurde ich zum Redakteur ernannt. Ein halbes Jahr früher als geplant. Dann begannen meine Wanderjahre quer durch Deutschland. Ich arbeitete bei Tageszeitungen in Wuppertal, Nürnberg und Düsseldorf.
Die Wechsel kamen nicht zustande, weil ich mich irgendwo beworben hätte. Ich fühlte mich immer wohl in meinem Job und tat meine Arbeit gerne, aber meist nach zwei Jahren meldete sich ein Kollege und lockte mit einem Angebot in eine andere Stadt. So stieg ich auf zum Ressortleiter und Chefreporter.
Schließlich landete ich beim Stern. Henri Nannen war auf mich aufmerksam geworden und bot mir die Leitung des Landesbüros Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf an. Ich erlebte eine ganz neue Facette meines Berufs. Die rätselhaften Abstürze von Starfightern beschäftigten mich monatelang. Gleichzeitig recherchierte ich Hintergründe der Landespolitik in Nordrhein-Westfalen.
Nach zwei Jahren beim Stern kam es zu einer Schlüsselbegegnung meines Lebens. Der junge Verleger Dr. Hubert Burda wollte mich kennenlernen. Wir trafen uns mehrfach und kamen zu der Erkenntnis, dass wir einander gut ergänzen könnten. Diese kreative Partnerschaft hält – mit Unterbrechungen – bis heute. Begonnen hat sie 1966 in München. Senator Franz Burda ernannte seinen 25-jährigen Sohn Hubert zum Verlagsleiter von Bild und Funk. Ich wurde mit 29 der jüngste Chefredakteur Deutschlands. Wir bewegten viel.
Nach vier Jahren kam es zu einem Kompetenzkonflikt mit Senator Burda, den ich verlor.
Meine Karriere konnte ich beim Gong-Verlag fortsetzen. Ich wurde Chefredakteur des Gong und später auch Geschäftsführer des Verlags. Dort blieb ich zwanzig Jahre lang, half beim Ausbau des Unternehmens und schrieb viel über Medienpolitik. Hubert Burda und ich hielten immer freundschaftlichen Kontakt zueinander. Wir luden uns gegenseitig zu unseren 50. Geburtstagen ein, feierten und bauten Luftschlösser. Bis wir eines ganz real verwirklichten.
Radio Gong & Antenne Bayern
In den 80er Jahren entschieden die Bundesländer, dass auch private Unternehmen elektronische Medien betreiben dürften. Die Großkonzerne Bertelsmann und Springer investierten in Fernsehsender, kleinere Verlage bemühten sich um Radio-Lizenzen.
Als Geschäftsführer des Gong Verlags sah ich viele Chancen. Wir gründeten die Studio Gong GmbH und stürzten uns in den Verteilungskampf. Der Markt war und ist reguliert. Die Landesmedienanstalten wollten Pluralität und zwangen konkurrierende Bewerber, sich auf einer Radio-Lizenz zu arrangieren. Der Andrang von Interessenten führte zu kuriosen Konstruktionen.
Der Sender RPR in Rheinland-Pfalz musste mehr als 150 Eigentümer unter einen Hut bringen. Der Sender FFH startete mit fünfzig verschiedenen Gesellschaftern, schafft es aber seit Jahren, Marktführer unter den Radios in Hessen zu sein. Vor den Programmen des Hessischen Rundfunks.
Jedes Bundesland reguliert nach eigenen Vorschriften. In Bayern konnten wir Radio Gong starten, das erste Stadtradio Deutschlands. Wir waren sechs renommierte Unternehmen, die alle den Ehrgeiz hatten, ein neuartiges Radio-Programm zu gestalten: Wir vom Gong, die Süddeutsche Zeitung, die Abendzeitung, der Holtzbrinck-Konzern, Radio der Frau und der Atlas-Verlag.
Die Landesmedienanstalt hatte konzipiert, dass jeder der Anbieter seine Stunden nach seinem Geschmack gestalten sollte. Die Sendestunden waren genau zugeteilt. Die Anbieter von 96,3 – so heißt unsere UKW-Frequenz – einigten sich in langen Sitzungen, ein durchhörbares Format zu organisieren. Mit unserem professionellen Sendeschema konnten wir die Regulierer überzeugen.
Die Gesellschafter wählten mich zum Geschäftsführer mit dem Auftrag, eine einheitliche Redaktion aufzubauen, die von allen bezahlt wurde. Ich engagierte Profis und testete Anfänger, die heute erfolgreich in Privatsendern und öffentlich-rechtlichen Anstalten arbeiten. Heftig debattiert wurde über den Namen des neuen Senders. Die beiden wichtigen Münchner Zeitungen hatten Ambitionen. Schließlich konnte ich meine fünf Partner übezeugen, unser gemeinsames Baby „Radio Gong" zu nennen. So hieß zwar die Zeitschrift, die ich leitete, aber die vier Buchstaben waren auch ein eingängiges Akustik-Symbol.
„Radio Gong wurde das erste erfolgreiche Stadtradio Deutschlands. Täglich kamen Besucher von überall her, um unser Modell zu studieren.“
Der Verteilungskampf unter fast fünfzig Bewerbern wiederholte sich, als die Landesmedienanstalt die Lizenz für einen bayernweiten Privatsender ausschrieb. Große Medienunternehmer wie Leo Kirch und der Heinrich Bauer Verlag stiegen aus, weil sie wegen zu erwartender Gesellschafterkonflikte nicht an den Erfolg des künftigen BR-Konkurrenten glaubten.
Am Ende schier endloser Sitzungen genehmigte die BLM acht Anbieter: als größten eine Gruppe bayerischer Zeitungsverleger und die Konzerne Burda, Bertelsmann und Springer mit je 16 Prozent. Die Medienpool GmbH erhielt sieben Prozent am Sender. Diese Firma hatte ich gegründet, um auf eigenes Risiko im Radiogeschäft investieren zu können. Nach dem Erfolg von Radio Gong wählten mich die Mitgesellschafter zum Gründungsgeschäftsführer.
„Das war der Start einer Erfolgsgeschichte. Antenne Bayern gehört seit Jahren zu den Marktführern in Deutschland.“
Die FOCUS-STORY
Kein Mensch glaubte, dass wir mit FOCUS erfolgreich sein würden. Wer mit dem Zug nach München fuhr, las an einer Mauer eine riesige Schrift:
„Deutschland braucht kein zweites Nachrichtenmagazin.”
Der stolze Hamburger Monopolist Spiegel hatte aufgezählt, dass schon fünfzig Versuche gescheitert waren, in Deutschland ein zweites Nachrichtenmagazin zu etablieren. Die Skepsis gegen unseren Plan war weit verbreitet. 99 Prozent der Branche hielten uns für Hasardeure. Der Vorstandsvorsitzende eines großen Hamburger Medienkonzerns warnte in einem Brief, Hubert Burda solle das Erbe seines Vaters nicht zerstören. Spiegel-Verleger Rudolf Augstein ließ mir von einem seiner Chefredakteure vorrechnen, wie chancenlos wir wären, und auch im Unternehmen von Hubert Burda zeigten sich Betriebsräte und auch leitende Angestellte tief besorgt. Sie fürchteten um ihre Arbeitsplätze.
Trotzdem gelang es, eine professionelle Redaktion aufzubauen. Noch heute bin ich den Kollegen dankbar, die sichere Positionen in anderen Verlagen aufgaben, um sich unserer Abenteurertruppe anzuschließen. Zusammen erlebten wir großartige Jahre. Unser Verleger Hubert Burda vertraute mir und dem Team. Er ließ sich von den Unkenrufen nicht irritieren.
Schon vor dem Start gelang es uns, viel Aufmerksamkeit auf unser Projekt zu lenken. Hilfreich war, dass Spiegel-Mitarbeiter in Zeitungen und im Fernsehen über unser Projekt lästerten. Für das Publikum entwickelte sich ein David-Goliath-Duell. Die Branche stellte sich auf die Seite des Goliath. Erstens, weil er materiell unangreifbar und zweitens, weil die Mehrheit der Journalisten „im Zweifel links” war, wie Rudolf Augstein postuliert hatte. Der Spiegel verdiente Millionen und war das Leitmedium der Republik. Seine Themen bewegten montags die Politik und die Redaktionen.
Trotzdem stellten wir von der ersten Ausgabe an Wettbewerb her. Wir spürten den Unterschied zwischen der veröffentlichten Meinung und der öffentlichen Meinung.
„Eine große Zahl von Lesern freute sich, dass FOCUS die Informationsvielfalt in Deutschland erweitert hatte. Das ist bis heute so geblieben.“